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31.10.2023

Johanna Brunner: „Unser Film soll inspirieren, achtsamer mit dem Thema weiblicher Zyklus umzugehen“

„Cycles“ ist ein experimenteller Kurzfilm, der sich mit der Kraft im Menstruationszyklus beschäftigt und ein Ausrufezeichen für female empowerment setzt. Die Tirolerin Johanna Brunner ist Regisseurin, Produzentin, Autorin und nicht zuletzt Athletin und erzählt uns, warum wir dringend und offen über dieses gesellschaftliches Tabuthema sprechen sollten.

Johanna Brunner, fotografiert von Anjuna Hartmann

Johanna, „Cycles“ ist ein Film über die Kraft, die im weiblichen Zyklus liegt. Warum ist diese Geschichte, dieses Thema für dich so wichtig?

Johanna Brunner: Das Wissen über den weiblichen Zyklus und ein Leben im Einklang mit diesem Zyklus ist im Laufe der Zeit in den Hintergrund gerückt und sogar zum Tabuthema geworden. Wir wollen mit diesem Film das Gespräch – wieder – eröffnen und dieses so wichtige Thema ansprechen.

Warum ist dieses so natürliche Thema zu einem Tabuthema geworden?

Unsere Welt orientiert sich stark am männlichen Energielevel beziehungsweise den 24-Stunden-Zyklen. Gesellschaftlich anerkannt ist, immer möglichst produktiv, effizient, zielstrebig und mutig zu sein. Qualitäten, die uns Frauen vor allem in den ersten beiden Phasen des Zyklus, also nach der Menstruation bis zum Eisprung, leichtfallen zu leben. In den anderen beiden der insgesamt vier Zyklusphasen sinkt das Energielevel aber, ebenso oftmals die Risikobereitschaft oder das Bedürfnis nach Abenteuer.
Stattdessen sehnen wir Frauen uns oftmals nach mehr Ruhe. Wir wollen diese Zeit zum Lesen nutzen, zum Malen, Kochen oder um uns mit Freund:innen zu treffen. Beim Freeriden müssen wir speziell vor und während der Menstruation keine großen Missionen durchziehen, da reichen oft schon entspannte Soulrides. Doch dieses gemütlichere Tempo wird in der Gesellschaft und vor allem der (Spitzen-)Sportwelt schnell negativ bewertet. Als zu wenig, als nicht ausreichend, als unangenehm. Dabei hat jede Phase ihre Relevanz und wer achtsam mit diesen Phasen umgeht, anstatt gegen den Körper und dessen Signale zu arbeiten, kann am Ende des Tages am meisten Energie und Wohlbefinden aus dem Leben herausholen.

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Was hat dich bei der Arbeit an „Cycles“ besonders motiviert?

Was uns definitiv bei all den langen Drehtagen, Schnitttagen und auch Nächten motiviert hat, ist der Zusammenhalt. Durch dieses Projekt hat eine Gruppe unglaublich toller Charaktere zusammengefunden. Gelegentliche Group Hugs, genügend Snacks, gute Musik in der Gondel oder beim Warten auf die Rider und das essenzielle Bier oder Gelato nach einem langen Tag haben uns durch alle Ups and Downs gebracht. Die Zusammenarbeit hat uns alle stärker gemacht!

War es schwierig, Sportlerinnen zu finden, die vor der Kamera über dieses doch sehr persönliche Thema sprechen?

Die Ladies waren von Anfang an super offen und vor allem auch neugierig. Ich habe für das Team am Anfang der Saison auch einen Workshop zum weiblichen Zyklus gehalten, weil das Interesse groß war, mehr über den eigenen Körper und Zyklus zu erfahren. Es war so schön zu sehen, wie die Mädchen im Lauf der Produktion ihre eigenen Körper viel besser kennengelernt hatten. Sie haben begonnen, mit dem Zyklus zu arbeiten und Pausen einzulegen, wenn der Körper eine Pause verlangt hat – und nicht mehr wie früher, gerade dann noch mehr zu pushen und übers Limit zu gehen.

Johanna Brunner im Stubaital, fotografiert von Anjuna Hartmann

Wie ist es dir persönlich damit gegangen, vor einer Kamera so offen mit diesem sehr persönlichen Thema umzugehen?

Ich persönlich habe überhaupt kein Problem, offen über den weiblichen Zyklus zu reden. Ganz im Gegenteil, für mich liegt so unfassbar viel Kraft und Mehrwert darin versteckt, mein Wissen zu teilen – vor allem, weil es um ein Thema geht, das mir so wichtig ist. Aber natürlich ist es nicht das einfachste Setting, geblendet durch rotes Licht und mit einer Kamera, die direkt auf dich gerichtet ist, locker lässig über den Zyklus zu quatschen. Aber wir waren alle mega happy mit dem Ergebnis.

Was sind deine wichtigsten persönlichen Erfahrungen und Erkenntnisse, die durch diesen Film gewonnen hast?

Ich glaube, ich habe noch nie so viel in so kurzer Zeit gelernt und vor allem auf so vielen verschiedenen Ebenen. Was das Publikum im Kino am Ende zu sehen bekommt, ist das Resultat einer gemeinsamen Reise. Eines Abenteuers, bei dem wir alle so viel mehr gelernt und erlebt haben als „nur“ Dreharbeiten auf einem Berg: angefangen von Erfahrung und Tricks, die wir während des Drehs untereinander ausgetauscht haben, über Tipps zur Tourenplanung und Auswahl der Lines bis hin zu Fragen zur Sicherheit am Berg. Wissen zu teilen, bereichert immer alle Involvierten! 

Ein Teil der Cycles-Crew unterwegs in Navis, fotografiert von Kirsten Frank

Und was sollen die Zuseher:innen von „Cycles“ nach Hause mitnehmen?

Unser gemeinsames Ziel ist es, das Gespräch zu eröffnen. Wenn man über ein Thema genug redet, nimmt man ihm die Kraft, ein Tabuthema zu sein. Wir hoffen, dass wir mit dem Film möglichst viele Menschen dazu inspirieren, achtsamer mit ihrem eigenen Zyklus und/oder dem ihres Umfeldes umzugehen.

Außerdem vermittelt der Film, dass man an seine Träume und Visionen glauben soll, egal wie groß und unerreichbar sie erscheinen mögen: einfach machen, im Prozess lernen und vor allem, sich nicht davor scheuen, um Hilfe zu fragen. Unsere Dankesliste am Ende des Films hat sich ganz schön in die Länge gezogen. Wir mussten darüber schmunzeln, dass primär Männer in dieser Liste stehen. Das zeigt wieder, wie wichtig das Miteinander und die gegenseitige Unterstützung ist – ganz unabhängig vom Geschlecht.

Apropos: Was glaubst du, wie die Männer im Publikum auf diesen Film reagieren werden?

Wir wollen selbstverständlich alle Zuseher:innen mit dem Film ansprechen, ganz egal, ob menstruierend oder nicht. Es geht uns, wie bereits erwähnt, darum, Bewusstsein zu schaffen und das Gespräch rund um das Thema des Zyklus zu eröffnen. Ich denke, es ist genauso wichtig für Burschen und Männer, Wissen über den weiblichen Zyklus zu haben und somit empathisch mit ihrem Umfeld umgehen zu können. Vor allem aber sollte es in gemischten Gruppen, und zwar nicht nur im Sport, für die Girls nicht oder nicht mehr unangenehm oder gar unangebracht sein, über die Menstruation zu reden oder zum Beispiel konkret darüber, eine Pause zu brauchen, um etwa das Tampon zu wechseln.

Wie wichtig war es für den Film, die richtige Balance zwischen Wort- und Actionanteil zu finden?

Wie wir alle wissen, war der vergangene Winter nicht unbedingt der ergiebigste beziehungsweise schneereichste. Wir hatten noch einige Lines im Kopf, die aufgrund der Bedingungen nicht fahrbar waren. Die bleiben uns für zukünftige Projekte (lacht). Wir haben aber natürlich alles an Action mitgenommen, was möglich war. Dadurch, dass der Film die Stimmung der vier Zyklusphasen darstellt, waren wir aber nicht nur auf der Jagd nach Action, sondern haben auch mal im kompletten White Out gefilmt, wo sonst niemand am Berg war. Und wir waren auch nachts im Mondschein unterwegs.

Jana Linicus, fotografiert von Kirsten Frank

„Cycles“ ist aber bewusst kein „klassischer“ Freeride-Film?

Unsere Absicht, einen Film zu kreieren, der sich nicht auf das traditionelle Konzept eines reinen Action-Ski-Films beschränkt. Wir wollten vielmehr die verschiedenen Phasen des weiblichen Zyklus und die damit verbundenen körperlichen und emotionalen Veränderungen in den Fokus rücken. Die besondere Herausforderung war es, jeder der vier Zyklusphasen einen eigenen erzählerischen und gestalterischen Charakter zu verleihen. Und uns ist außerdem auch ein anderes Thema sehr am Herzen gelegen.

Welches?

Die Bestärkung und Förderung der Sichtbarkeit von Frauen im Outdoor- und Risikosport. Wir leben in einer Zeit, in der Frauen in Risikosportarten nach wie vor unterrepräsentiert sind. Zum Glück leben wir allerdings auch in einer Zeit, in der die Gleichstellung der Geschlechter als relevantes Thema in der Sportwelt angekommen ist. Preisgelder werden angeglichen und mehr Frauenteams dürfen an Wettkämpfen teilnehmen. Gleichzeitig passiert nach wie vor noch Vieles, das weit an Gleichberechtigung vorbeischießt. Jeder noch so kleine Schritt in Richtung der Sichtbarkeit ist daher ein unglaublich wichtiger!

Vor allem jüngere Mädchen, in Wirklichkeit aber Frauen jede Altersgruppe, brauchen starke Vorbilder, die sie inspirieren, ihre Träume und Ziele zu verwirklichen. Wir wollen Zuseher:innen ermutigen und bestärken, sich gegenseitig zu unterstützen und zu fördern, voneinander zu lernen und sich nie einreden zu lassen, dass sie etwas nicht könnten. Am allerwenigsten aufgrund ihres Geschlechtes!

Johanna Brunner: www.instagram.com/jobrunner/
Cycles: www.instagram.com/cycles.movie/

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