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21.10.2022

„Der Film schafft einen Raum, der erkundet werden will wie ein Berg“

Die Schweizer Splitboarder Levi Luggen und Gregor Betschon erstaunen uns mit einem vielschichtigen Kunstwerk. „Gale“ ist mehr als ein Freeride-Film: Das audiovisuelle Abenteuer schafft neue Räume und soll die Phantasie ebenso anregen wie die Lust, selbst hinauszugehen. Beim Freeride Filmfestival wird der Film zur Live-Performance, die von den Künstlern jede Menge Mut erfordert.

Levi Luggen lässt es stauben, Fotograf Simon Ricklin drückt ab

„Gale“ ist formal ein ungewöhnlicher Film – wie seid ihr auf die Idee gekommen, diesen künstlerischen Anspruch zu forcieren?

Levi Luggen: Die Saison 2020/21 war sehr schneereich und wir hatten gerade das Follow-Filmen für uns entdeckt. So sind wir andauernd auf Splitboard-Touren gegangen, um neue Sachen zu testen. Da wir ohne konkrete Storyidee gefilmt haben, sind wir am Ende der Saison auf einem Haufen Footage gesessen, das irgendwie weiterverarbeitet werden musste.

Gregor Betschon: Für uns war von Anfang an klar, dass wir ein breites Publikum ansprechen möchten. Den künstlerischen Ansatz haben wir deshalb gewählt, weil er uns mehr Möglichkeiten in der Gestaltung des Filmes bietet. Wir wollen mit dem Film die Facetten des Splitboardens aufzeigen – und das in einer Art und Weise, welche eine Mehrheit der Sportlerinnen und Sportler nachvollziehen kann. Die Follow-Aufnahmen im Tiefschnee sind ein wichtiges Element dafür, nahe an der Action zu sein. Zudem wollten wir im Film eine Sphäre schaffen, in die man eintauchen kann.

Sehr wichtig scheint bei eurem Konzept die Musik zu sein.

Gregor: Musik verstehe ich in einem Film als Drehscheibe für Emotionen. Sie ist Trägerin und Übermittlerin der Gefühle und lässt uns Bilder intensiver und subjektiver wahrnehmen. Wir wollten den Zuschauern mit „Gale“ unsere gemeinsamen Erlebnisse während der Dreharbeiten vermitteln und das auf einer ehrlichen und authentischen Weise.

Levi: Für uns war klar, dass wir den Film mit einem exklusiven Soundtrack machen wollten. So kam Andreas Achermann ins Spiel. Gregor und Andreas kannten sich bereits seit ein paar Jahren von einem ähnlichen Projekt. Gregor: Ja, wir haben bereits 2015 meinen ersten Snowboard-Film als Ciné-Concert umgesetzt.

Hatten die Sounds von Andreas Achermann eigentlich Einfluss auf die Auswahl der Bilder? Oder hat er die Musik zum fertigen Schnitt komponiert?

Gregor: Andreas ist sehr talentiert und erfinderisch. Aus der gemeinsamen Erfahrung wussten wir, wie ein Film vertont werden kann und haben entschieden, dass ich einen ersten Rough Cut auf Musik schneide, den Levi und ich als Referenz sehen. Mit diesem ersten Schnitt bin ich dann mit Andreas vor dem Beamer gesessen und wir haben gemeinsam verschiedene Musiken daruntergelegt. Andreas kam mit dem „Stranger Things“-Soundtrack und der Idee vom Synthesizer. Das hat gut gepasst und wir haben gemerkt, dass es dieser Stil ist, nach den wir gesucht haben.

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Neben den Sounds von Andreas Achermann geben die Gedichte von Joshua Truscott dem Film eine weitere ungewöhnliche Ebene – was war eure Idee dahinter?

Gregor: Der Sound hat eine bestimmte Richtung genommen – doch wir haben festgestellt, dass noch etwas fehlt, um unser Ziel zu erreichen. Wir haben zusammen überlegt, wie der Film einen Raum schaffen kann, der erkundet werden kann, so wie wir unsere Locations erkundet haben. Gedichte können genau das: Sie malen ein Bild. Und so haben wir nach Musik gesucht, welche gesprochene Texte beinhaltet. Jim Morrison (Anm.: Sänger der 1970er-Band The Doors) hatte so ein Album und das diente uns während der Dreharbeiten als Inspirationsquelle.

Die Gedichte lassen Raum für unterschiedlichste Interpretationen.

Levi: Ein klassischer Erzähler wäre für uns nicht in Frage gekommen. Wir wollten, dass der Sprecher den Film aus seiner eigenen Perspektive kommentiert, anstatt von uns einen Text vorgegeben zu bekommen.

Gregor: Unsere Idee war: Der Dichter sollte – wenn möglich – noch nie auf einem Snowboard gestanden sein und deshalb Texte schaffen, die auch für Laien eine Bergwelt malen können. Andreas hat mit Joshua bereits mehrmals zusammengearbeitet und fand, dass er perfekt passen würde, da er aus England stammt und noch nie Snowboard gefahren ist.

Levi: Wir haben Josh den Rohschnitt gezeigt, zu dem er frei heraus Gedichte geschrieben und eingesprochen hat. Das heißt, wir haben ihm absolute künstlerische Freiheit gelassen und er hat die Texte auch nicht mehr überarbeitet.

Gregor: So ist die Erzählperspektive gleich jener des Publikums. Durch die Gedichte werden in den Zusehern Bilder angeregt, die auf der Leinwand gar nicht zu sehen sind. So wird „Gale“ zum echten Erlebnis.

Gregor Betschon zieht die erste Line, Simon Ricklin fotografiert wieder.

Habt ihr keine Angst, dass ihr das Publikum überfordern könntet? Und dass die sportliche Ebene, euer fahrerisches Können, etwas in den Hintergrund treten könnte?

Levi: Wir haben versucht, dass sich die verschiedenen Elemente ergänzen. Dass einzelne Punkte dadurch etwas in den Hintergrund geraten könnten, war uns bewusst; das nehmen wir gern in Kauf. Ich denke aber, dass es diese Vielschichtigkeit ist, die den Film einzigartig macht. Wir sind uns bewusst, dass wir nicht jeden Geschmack treffen – dies wäre aber ohnehin ein utopisches Ziel. Dennoch hoffen wir, dass der Film die Zuschauer anregt und inspiriert, insbesondere zum Splitboarden.

Gregor: Es kann sein, dass Zuseher den Erzählstrang der Gedichte nicht gänzlich verstehen können. Doch dann hilft ihnen die kreierte Sphäre durch die Synthie-Klänge, sich an den Bildern zu orientieren. Ich denke, gerade die verschiedenen sich unterstützenden Ebenen helfen, in den Film abtauchen zu können.

Auf der FFF-Tour wird es auch eine Live-Performance zum Film geben ­– könnt ihr uns dazu

einen Einblick geben?

Gregor: Für ein Ciné-Concert braucht es Musiker, die gerne etwas riskieren. Denn bei einem klassischen Konzert sind Fehler nicht gleich offensichtlich wie bei der Filmmusikperformance. Das Synchronisieren von Bild und Ton ist anspruchsvoll und hält immer wieder neue Challenges bereit.

Levi: Andreas wird vor Ort sein und seine Komposition live auf der Bühne performen. Das Publikum kann ihm also während des ganzen Films beim Musik machen zuschauen. Gregor: Andreas kreiert mit seinem Instrument ein dezentes Bühnenbild und wer den Einstieg in den Film nicht findet, der kann sich einfach auf die Performance konzentrieren. Es ist auf jeden Fall eine unglaubliche künstlerische Leistung, da er die Klänge bei jeder Aufführung neu formt. Somit tönt auch keine Performance hundertprozentig gleich.

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