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27.10.2022

„Wir müssen uns immer wieder intensiv mit dem Thema Risiko auseinandersetzen“

Unabhängig voneinander wurden Elias Elhardt und Xavier de Le Rue Zeugen tragischer Lawinenunglücke. Gemeinsam arbeiten die beiden Snowboard-Profis ihre Empfindungen in der Produktion „Invisible Ground“ auf. Elias Elhardt erzählt im Interview, wie es zu der schonungslos offenen Zusammenarbeit kam, welche Konsequenzen er selbst aus seinen Erfahrungen zieht und welche Fragen sich jeder einzelne von uns immer wieder stellen sollte.

Elias-Elhardt (r.) am Weg mit Xavier De Le Rue (Foto: Blanchard)

Xavier de Le Rue und du, ihr kennt euch schon sehr lange – wie wichtig war das gegenseitige Vertrauen, um einen so persönlichen Film wie „Invisible Ground“ produzieren zu können?

Wir kannten uns zwar seit 17 Jahren, also schon sehr lange, aber nicht sehr gut, da sich die Wege in unseren Karrieren nur sehr selten gekreuzt haben. Etwas besser haben wir uns dann tatsächlich erst im vergangen Herbst bei einem Team-Trip kennengelernt. Dabei ist auch das Vertrauen gewachsen und vor allem der Entschluss ^gewachsen, dieses Projekt gemeinsam anzupacken.

Wie habt ihr euch dem Thema genähert? Habt ihr eure Gedanken schon vor Drehbeginn intensiv ausgetauscht oder habt ihr euch erst vor der Kamera geöffnet?

Wir hatten im Vorfeld tatsächlich nur die Gespräche bei diesem Team-Trip. Auf dieser Grundlage hab ich dann ein Konzept für einen Film geschrieben. Das hat Xavier offenbar recht gut gefallen und war die Grundlage für unser Vorhaben.

Wie groß war die Überwindung, sich so schonungslos über so heikle Themen zu unterhalten? Ich persönlich mag’s eigentlich sehr gern, mich über Themen zu unterhalten, die mir wirklich am Herzen liegen und die in sich häufig gewisse Widersprüche bergen. So habe ich den Austausch mit Xavier als eine sehr interessante Möglichkeit empfunden, weil ich ihn als Gesprächspartner sehr schätze.

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Es geht in „Invisible Ground“ – unter anderem – um die Verantwortung, die man als Vorbild hat. War dir das Ausmaß dieser Verantwortung vor Produktionsbeginn eigentlich schon bewusst oder hat der Film auch dich zum Nachdenken gebracht?

Diese Frage hat mich vor allem nach dem Lawinenunglück beschäftigt, bei dem ich als einer der Ersthelfer dabei war. Darauf gehe ich im Film noch genauer ein. Jedenfalls war dieser Moment sehr prägend für mich und auch ein ausschlaggebender Grund, warum ich den Film machen wollte.

Wen wollt ihr mit „Invisible Ground“ vor allem erreichen? An die Profis, die Vorbilder sind (oder zumindest sein könnten), oder eher an die nächste Generationen, die euch nachfolgen wollen?

Im Grunde wollen wir mit dem Film alle erreichen, die sich mit dem Freeriden beschäftigen. Denn sobald wir die gesicherten Pisten verlassen, müssen wir uns so oder so immer wieder intensiv mit dem Thema Risiko auseinandersetzen – ganz egal, auf welchem fahrerischen Level.

„Invisible Ground“ ist ein Film über die Verletzlichkeit

Hat sich durch eure tragischen Erlebnisse etwas an der prinzipiellen Freude, da draußen unterwegs zu sein, geändert?

Ja, für mich hat sich da schon einiges verändert. Nachdem ich Zeuge dieses tragischen Ereignisses geworden bin, bin ich auf jeden Fall noch viel weniger gewillt, ein größeres Risiko für einzelne Abfahrten und Tage im Tiefschnee einzugehen. Das kurze Glücksempfinden einer risikoreichen Line steht einfach in gar keiner Relation zu dem Leid, mit dem ein Unglück einhergeht. Wenn ich also ein mulmiges Gefühl habe, ob ich eine Line wegen dem möglichen Risiko fahren möchte oder nicht, dann mache ich es nicht.

Was braucht es in unseren Köpfen, damit Freeriden sicherer wird? Oder kann dieser Sport per se nicht sicher sein? Wie sollen wir mit den verbleibenden Risiken am besten umgehen? Und: Dürfen wir das Risiko genießen?

Ganz sicher wird der Sport auf jeden Fall nie sein, da wir ja immer ein gewisses Lawinenrisiko eingehen, sobald wir uns bei leichter Steilheit des Geländes im Tiefschnee bewegen. Umso wichtiger finde ich es daher – neben dem Lawinen-Sicherheits-Know-how, das natürlich die Grundlage ist –, die Gruppendynamik meiner Crew und auch meine eigene Motivation immer zu hinterfragen. Da gibt’s natürlich sehr viele Punkte, die man berücksichtigen kann. Hier also nur ein paar: Sind wir gerade zu sehr einem Rausch des Moments verfallen und wiegen uns in falscher Sicherheit? Wer in unserer Gruppe führt überhaupt und wie kommen wir zu unseren Entscheidungen? Möchte ich mir beziehungsweise den anderen hier gerade etwas beweisen?

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