Jakob Weber, fotografiert von David Deliv
description Festival, Interview
02.10.2023

Weger-Brothers: „Was abseits dieses Moments passiert, wird irrelevant“

Die Extremsport-Brüder Matthias und Jakob Weger lieben das Abenteuer. Wie schwierig es war, ihre arktische Dreamline zu finden und daraus auch noch einen atemberaubenden Film zu produzieren, erzählen sie im folgenden Gespräch.

Jakob Weger, festgehalten von Mathurin Vauthier
Jakob Weger, festgehalten von Mathurin Vauthier

Stimmt es: Der Film „22 Høurs – Arctic Dreamline“ war gar nicht geplant“?

Jakob Weger: Wir wollten einfach ein paar coole Lines in Norwegen fahren und generell eine gute Zeit dort oben, nördlich des Polarkreises, verbringen. Letztendlich hatten wir aber, lass es mich so sagen, einige sehr interessante Abenteuer zu bestehen. Und zwar jeden Tag! Als wir zu Hause das Material gesichtet haben, das wir größtenteils mit unserer GoPro Max gefilmt haben, haben wir gesagt: „Wow! Wir sollten einen Film daraus machen. Es wäre schade, diese Aufnahmen nur auf einem Harddrive herumliegen zu lassen oder irgendwelche kurzen Clips auf irgendwelchen Social-Media-Kanälen zu posten.“

Matthias Weger: Also sind wir im vergangenen Winter noch einmal hinauf in die Lyngen Alps gereist. Diesmal wollten wir nur die Storyline filmen, aber das Wetter war wieder unglaublich schlecht und wir mussten sehr viel improvisieren.

Jakob: Aus technischer Sicht ist es wahrscheinlich nicht der allerprofessionellste Film – aber ich glaube, dass das Abenteuer und die Geschichte selbst die Produktion sehr interessant machen.

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Auch wenn die Arbeit an diesem Film so schwierig war: Was hat euch besonders große Freude bereitet?

Matthias: Die 22 Stunden, die wir am Store Jaegervastinden verbringen durften, waren für uns ein einschneidendes Erlebnis. Ein alpines Abenteuer, das vom extremen Kontrast lebt: Einerseits mussten wir stundenlang bei widrigsten Bedingungen in unserer Schneehöhle ausharren. Andererseits konnten wir nach einem plötzlichen Wetterumschwung in der arktischen Mitternachtssonnenkulisse einen Grat hochsteigen und danach über die Nordwand abfahren. Eine Wand übrigens, die vor uns erst von zwei Seilschaften befahren wurde. Dieses Erlebnis ist für uns immer noch schwer in Worten zu fassen. Und genauso schwierig war es für uns, diese Geschichte mit jenen Bildern zu erzählen, die wir im Eifer des Gefechts im wütenden Schneesturm gefilmt haben.

Was sind die wichtigsten Erfahrungen und Erkenntnisse, die ihr persönlich diesem Film verdankt?

Matthias: Eine Sache, die wir in Norwegen erkennen durften, ist die Kraft unserer Hartnäckigkeit. Die widrigen und unberechenbaren Wetterverhältnisse haben uns täglich einen Strich durch die Rechnung gemacht. Doch wir haben nicht locker gelassen. Jeden Tag aufs Neue sind wir raus. In den Sturm, den Schnee, den Regen und das oft über Nacht. Immer in der Hoffnung, eines der spontanen Wetterfenster und den frischen Powder zu erwischen. Ich glaube, dass deshalb auch die Zuschauer:innen aus dem Film etwas für sich selbst mitnehmen können.

Und zwar was?

Matthias: Unser Durchhaltevermögen soll eine Inspirationsquelle sein: Wenn man an sein Ziel glaubt und daran festhält, wird man Ende vielleicht mit besonderen Abenteuern belohnt.

Matthias Weger in den Lyngen Alps
Matthias Weger in den Lyngen Alps

Was fasziniert euch an (sportlichen) Extremsituationen? Was sucht – und findet – ihr da draußen, was ihr bei einem Schreibtischjob vielleicht nicht finden würdet?

Matthias: Am Berg zu sein, in der Natur zu sein, das ist für mich ein Erlebnis, das ich auf mehreren Ebenen spüren und genießen kann: als ruhiges landschaftliches Schauspiel, aber auch als Kennenlernen meiner physischen Grenzen. Am Berg wird man sich unweigerlich in ungeplanten Situationen wiederfinden. Und es sind genau diese Situationen, in denen die Welt stehen zu bleiben scheint. Alles, was abseits dieses Moments passiert, wird plötzlich irrelevant und verschwindet gänzlich aus der persönlichen Wahrnehmung. Es sind diese Erlebnisse, in denen man eins wird mit der Materie, dem Moment und der Natur.

Gab es zwischendurch Momente, in denen ihr euch gedacht habt: Warum tun wir uns das alles an?

Matthias: Es gab viele Momente, die uns fast zum Aufgeben motiviert hätten. Jeden Tag sind wir aufgebrochen, wissend, dass wir mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit unverrichteter Dinge umdrehen müssen. Aber wirklich umgekehrt sind wir immer erst dann, wenn es die Lawinensituation oder die schlechte Sicht verlangt haben. Das zehrt an den Kräften und vor allem an der Motivation. Wir haben es dennoch immer wieder probiert – mit dem Ziel, eventuell doch einmal Glück zu haben.

Jakob: Natürlich haben wir uns nicht nur einmal gefragt, ob es diesen ganzen Aufwand überhaupt wert ist. Wir wissen es eigentlich noch immer nicht. Aber im Endeffekt ist es ein cooler Film geworden.

Weger Brothers: https://wegerbrothers.weebly.com/

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